Glück
Liebe Frau Specht-Selle…
…An Ihrer Schule soll das Fach Glück fester Bestandteil des Stundenplans sein. – Wie kommt’s?
Schule ist ja immer schon viel mehr als ein Lernort für Mathe, Deutsch und Englisch. Die Kinder sind mit ihren Emotionen, ihren Persönlichkeiten und ihren individuellen Talenten bei uns. Diese spielen aber oft keine große Rolle. Wenn, dann häufig defizitär orientiert, im Sinne von Konfliktorientierung, Problemorientierung. Der Fokus beim Fach Glück, das man auch Resilienz nennen könnte, liegt entgegengesetzt – auf der Bewusstwerdung unserer vorhandenen Stärken, auf Dingen, die uns gut tun und stärken in unserer Resilienz. Viele antworten auf die Frage, was der Sinn des Lebens ist, glücklich zu sein. Aber Glück kann man lernen, indem man sich bewusst macht, was dazu beiträgt, mich gutzufühlen.
…Gibt es Glück als Schulfach bereits an deutschen Schulen oder ist diese Idee ein komplettes Novum?
Fritz Schubert, ein deutscher Pädagoge, Therapeut und Buchautor, hat das Unterrichtsfach Glück 2007 als erster eingeführt mit dem Ziel, die Persönlichkeitsentwicklung stärker in den Fokus der Schule zu rücken. Auch Gerald Hüter setzt sich für eine positive Pädagogik ein, die die Stärken der Kinder in den Blick nimmt und nicht ihre Schwächen. Wie viele Schulen aktuell dieses Fach unterrichten, kann ich nicht genau sagen. Aber einige Grundschulen im Aachener Raum haben dieses Fach etabliert, auch einige Hauptschulen. Oft ist es das Engagement einzelner Lehrer*innen, die sich dafür einsetzen. Es gibt aber auch Gesamtschulen, die dieses Unterrichtsangebot oder Förderangebot etabliert haben, die Gesamtschule Voerde zum Beispiel. Hilfreich ist auf jeden Fall, wenn auch die Schulleitung hinter diesem Ansatz steht.
…Welche Inhalte bzw. Fragestellungen sollen Inhalt dieses Faches sein und mit welcher Zielsetzung?
Es geht um die Hinführung zu einem stärkeren Fokus unserer Gedanken darauf, was uns glücklich macht. Bei einer Fortbildung z. B. haben wir alle ein Jutesäckchen und getrocknete Bohnen bekommen, unseren Glücksspeicher. Für jeden Glücksmoment, den wir am Tag erlebt haben, soll eine Bohne hineinwandern. Schon durch so eine einfache Übung wandert der Fokus stärker auf das „Beglückende“, auf uns stärkende, positive Emotionen. Das klingt einfacher als es ist, denn wir sind sehr darin geübt, negativ zu denken und das Negative in Erinnerung zu halten. Selbst wenn uns jemand ein Kompliment macht für etwas, das gut war, das wir gut gemacht haben, sind wir gewohnt, nicht einfach Danke zu sagen, sondern dieses Lob sofort kleinzureden – warum eigentlich? Lob und Anerkennung, Wertschätzung sind doch immense Energiequellen für unser Selbstbewusstsein.
…Wer wird das Fach unterrichten; existieren spezielle Weiterbildungen, die hierzu befähigen oder gibt es womöglich bereits Kolleg*innen, die Glück auf Lehramt studiert haben?
In unserer Region (Rheinland) stellt Malaika e. V. ein Fortbildungsangebot, das von einzelnen Workshops über eine einjährige modulare Ausbildung reicht. Viele Kolleg*innen, die sich für unsere neu gegründete Schule als Lehrkräfte bewerben, bekunden schon jetzt ihr Interesse an einer Fortbildung für dieses Fach. Damit alle diesen Spirit weitertragen können, werden wir zu Beginn des Jahres Experten von Malaika einladen zu einer Kollegiumsfortbildung.
…Man fragt sich natürlich: Fällt dafür ein anderes Fach weg bzw. wie wird das neue Fach in den Stundenplan integriert?
Wir wollen ganz bewusst eine Ausweisung im Stundenplan und keine Beschränkung auf eine AG, die man wählen kann. Denn dann käme nur eine Kleingruppe in den Genuss dieser Erfahrung. Dieser „Unterricht“ wird natürlich nicht bewertet und speist sich aus dem Ganztagszuschlag. Es fällt also nichts dafür aus oder weg.
…Die moderne Welt hält ganz andere Herausforderungen für Kinder und Heranwachsende bereit als noch für 50 Jahren: Welche weiteren Fächer bzw. festen Unterrichtsinhalte hielten Sie bzw. ihr Kollegium für sinnvoll?
Die Unesco spricht von diesen 4 Säulen der Bildung:
1. Lernen, Wissen zu erwerben
2. Lernen zusammen zu leben
3. Lernen zu handeln
4. Lernen zu sein ( = Lernen für das Leben)
Diese bilden wir in verschiedenen Lernformaten ab: Lernbüro, Werkstätten, Projekttag und das Fach Glück. Zudem wollen wir 3 x die Woche im Rahmen der Lernbüros Coaching etablieren, d. h. anders als beim „herkömmlichen“ Schulsystem, in dem oft nur vor oder an Elternsprechtagen die Lernerfolge und -Prozesse der Kindern betrachtet werden, soll dies als begleitende Struktur etabliert werden. Und das nicht defizitorientiert, sondern ressourcenorientiert. Jedes Kind hat Talente, manche Dinge kann es, andere noch nicht.
Die 4 Kernkompetenzen, die auch als 21. Century skills genannt werden - Kollaboration, Kooperation, kritisches Denken und Kreativität klingen plausibel, aber es fehlt auch hier ein wenig der Fokus auf den zentralen Sinn des Lebens – glücklich zu sein. Und das zu werden, zu sein, nicht aufgeschoben als Ziel für irgendwann, sondern im Hier und Jetzt, das ist m. E. das zentrale übergeordnete Lebensziel.
Unser Kollegium, das sich ja erst formiert, hat sicher noch vielfältige, weitere Ziele im Blick. Und wenn wir bereit sind, den Ideenreichtum anderer als Bereicherung zu integrieren, sind wir auf einem guten Weg. Dazu gehört für mich auch, dass multiprofessionelle Teams im wahrsten Sinne des Wortes die Entwicklung der Kinder begleiten. Und wir sind Lernbegleiter*innen, aber keine Belehrende.
Zudem werden die Folgen des Klimawandels immer sichtbarer – und wir müssen uns viel stärker in unserem Verhalten an den 17 SDGs orientieren, einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, im Kleinen beginnen, im Alltag, aber mit dem Bewusstsein, dass die zukünftigen Generationen als eigentliche change-maker sehr wichtig sind.
…Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Interview und wünsche viel Erfolg und alles Gute für Sie, das Kollegium und alle Schüler*innen!



